Der Wunsch nach echter Bürger*innenbeteiligung: Neuhaus und das Gewerbeflächenkonzept

Bei Sonnenschein und guter Laune feierten die rund 130 Einwohner des kleinen Ortes Neuhaus ihr erstes Bürgerfest. Unter dem Motto: Bunt & Grün hatten die Neuhauser ihr Dorf in ein offenes Wohnzimmer verwandelt.

Auf dem von der Initiative NeuNeuhaus veranstaltete Dorffest konnten sich die Besucher*innen über den Wohnort an der A46 und dem Mennekrather Baumschulpark informieren. Neben tollen Aktivitäten für Jung und Alt wurde hier aber auch über das Gewerbeflächenkonzept diskutiert. Die Veranstalter hatten freundlicherweise Die Grünen, Die Linke und Die Bürgerpartei eingeladen, um das Thema zu beleuchten und es im angenehmen Rahmen dieses Festes bei schönem Wetter auf Augenhöhe zu diskutieren.

Drei Arten der Gewerbeflächenerweiterung

Das derzeit dem Rat der Stadt Erkelenz vorliegende Gewerbeflächenkonzept (PDF) sieht drei Gewerbeflächenerweiterungen vor:

1. Erkelenz-Ost: Forschung und Wissenschaft

Flächen im Bereich Erkelenz-Ost, zwischen Bahnhof bis hinter den Flächen der Firmen Wirth und Gillrath bis zur BAB 46. Dort sollen Räume für die Ansiedlungen von Forschung und Wissenschaft geschaffen werden. Der Hintergrund ist hier die Bewerbung der Stadt Erkelenz, im Rahmen des Strukturwandelprojektes Hochschulstandort zu werden. Die direkten Verbindungen des ÖPNV sind hier eine Grundvoraussetzung.

2. Gipco-Erweiterung: Handwerk und Dienstleistungen

Der Bereich des Gipco soll in Richtung Granterath und Hetzerath erweitert werden. Diese Flächen sind für kleines bis mittleres Handwerk und Dienstleistungen vorgesehen.

3. AS Erkelenz-Ost: Gewerbe und Industrie

Autobahn-Anschlussstelle AS Erkelenz-Ost: eine ganz neue Fläche für ein neues Gewerbegebiet Erkelenz-Ost, gelegen zwischen Neuhaus, Terheeg und Venrath. Im Folgenden geht es ausschließlich um dieses geplante Gewerbegebiet.

 

AS Erkelenz-Ost: Reine Gewerbe- und Industriefläche?

Eine völlig neu erschlossene Fläche soll die Gewerbefläche AS Erkelenz-Ost zwischen Neuhaus, Terheeg und Venrath werden. Hierbei ist es außerordentlich wichtig, die Flächenkonzepte für die Bereiche Erkelenz-Ost/Bahnhof und Anschlussstelle AS Erkelenz-Ost (Neuhaus/Terheeg/Venrath) nicht miteinander zu vermischen oder zu verwechseln!

 

Geplante Gewerbefläche AS Erkelenz-Ost

 

Während der Bereich Erkelenz-Ost als Forschungs- und Wissenschaftsstandort vorgesehen ist, ist der Bereich AS Erkelenz-Ost als reine Gewerbe- und Industriefläche vorgesehen. Hier sollen bestenfalls die Firmen einen Platz finden, mit denen die Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten könnten. Falls Erkelenz den Zuschlag bekommt, das NaLe Projekt (Nahrungsmittel- und Lebensmittel Forschungsprojekt) realisieren zu können, wäre dann auch die zusätzliche geplante Fläche AS Erkelenz-Ost verfügbar.

Da dies noch nicht sicher ist, wurden auch alternative Nutzungsmöglichkeiten vorgeplant. So könnten auf der Fläche AS Erkelenz-Ost auch: „Großmaßstäbliches Flächenangebot für emittierendes Gewerbe- und Industriebetriebe, Störfallbetriebe und Betriebe mit genehmigungspflichtigen Anlagen nach BImSchG, ausgewählte Logistik“. (Auszug aus dem Gewerbeflächenkonzept (PDF), [Seite 34] der Stadt Erkelenz, Planungsbüro Dr. Jansen GmbH)

 

Die Haltung der Bürger*innen ist eindeutig

 

Auf der gleichen Seite werden in diesem Konzept Beispielbetriebe aufgeführt, die dort angesiedelt werden könnte. Als solche werden genannt: „Verkehrsbetriebe, LKW-Service und Reparatur Betriebe, Fuhrparkmanagement und Car-Sharing, Lagerei (Lagerbetriebe), Logistik und Konfektionierung unter 5 ha, einzelner Logistikbetrieb unter 10 ha, Logistisches Dienstleistungszentrum, einzelner Logistikbetrieb über 10 ha, Güterlogistikzentrum, Güterverteilzentrum“!

Niemand kann heute mit gutem Gewissen ausschließen, dass sich auch eine dieser genannten Firmen zwischen Neuhaus/Terheeg/Venrath ansiedelt!

 

CDU, SPD, FDP und Freie Wähler/UWG mit festgefahrener Position

In einem interfraktionellen Zoom Meeting, zu der die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Freie Wähler/UWG gemeinsam eingeladen hatten, wurden diese Flächen für das Gewerbegebiet den betroffenen Bürgern und Landwirten gegenüber als notwendig und alternativlos dargestellt.

 

Statement der Initiative NeuNeuhaus auf Facebook nach dem Meeting:

Unsere Enttäuschung über die politischen Vertreter (CDU Erkelenz, SPD Erkelenz, FDP Erkelenz, FW Kreis Heinsberg) und die Stadtverwaltung ist kaum in Worte zu fassen.

[…] Die Appelle der anwesenden Bürger bleiben bei Politik und Verwaltung ungehört.

Trotz der vielfältigen Bedenken (Ökologie, nachhaltige Stadtentwicklung, Flächenverbrauch, Belange von Landwirten, Lärmbelästigung, Verkehr…) die von Bürgern aus den Dörfern Wockerath, Neuhaus, Kaulhausen und Granterath geschildert wurden, sind unsere politischen Vertreter nicht bereit, das ohne Beteiligung der Erkelenzer Bürgerschaft erstellte Konzept zu überdenken.

Anstatt die Bedenken und Vorschläge der betroffenen Bürger und Landwirte auf Augenhöhe auszudiskutieren, anzunehmen und in das Gewerbeflächenkonzept einfließen zu lassen (DAS wäre echte Beteiligung!), haben sich die vier anwesenden Parteien zu einer geschlossenen Front gegen die Belange der betroffenen Bürger zusammengeschlossen.

Ein aus demokratischer Sicht beängstigendes Vorgehen.

Unser Negativhighlight des Abends ist eine Aussage unseres technischen Beigeordneten Ansgar Lurweg. „Neuhaus ist kein Dorf. Neuhaus ist eine Ansammlung von maximal 10 Gebäuden.“

[...]
Initiative NeuNeuhaus via Facebook (zum Beitrag)

 

Zunächst wurde betont, dass noch nichts fest entschieden sei und die Bürger sich weiter mit beteiligen könnten. Später wurde gesagt, dass die vorgesehenen Flächen alternativlos seien und man da nichts machen könne.

Dennis Galle, Teilnehmer der Videokonferenz

 

Ich hatte auf einen Dialog auf Augenhöhe gehofft und auch im Meeting so kommuniziert. Unser Dorf wurde aber leider kleingeredet und die vorliegenden Pläne verteidigt.

Marius Müller, Initiative NeuNeuhaus, Teilnehmer der Videokonferenz

 

Grüne, Linke und Bürgerpartei fordern die öffentliche Debatte

Im Hinblick auf die Ausweisung neuer Gewerbegebiete sind Grüne, Linke und die Bürgerpartei anderer Meinung und drängen darauf, diese Fragen zumindest öffentlich zu diskutieren. Das geht aus der Historie hervor:

 

  • 04.02.2021: Im Ausschuss wird das vorliegende Gewerbeflächenkonzept mit 12 Ja Stimmen zu 4 Gegenstimmen bei 1 Enthaltung, angenommen. Hans Josef Dederichs kündigt an, prüfen zu lassen, ob der Tagesordnungspunkt im nicht öffentlichen Teil behandelt werden muss.
  • 24.02.2021: In der Ratssitzung am erklärt Bürgermeister Stephan Muckel nach eingehender Prüfung, dass der Beschluss tatsächlich nicht getroffen werden kann, da der Ausschluss der Öffentlichkeit nicht erforderlich sei. Das Thema wird vorerst von der Tagesordnung gestrichen.
  • 21.04.2021: Bürger*innen werden nun dazu aufgerufen, bis zum 26.05.2021 ihre Anregungen zu künftigen Gewerbeflächen online, telefonisch oder persönlich einzubringen (Aufruf über die Website der Stadt).
  • 01.07.2021: Interfraktionelle Informationsveranstaltung (Zoom Meeting) von CDU, FDP, FW und SPD. (Statement der Initiative NeuNeuhaus)
  • 22.08.2021: Dorffest Neuhaus, ausgerichtet von der Initiative NeuNeuhaus mit Die Grünen, Die Linke und Die Bürgerpartei als geladene Sprecher um zu informieren und in den Dialog zu treten (Facebook Veranstaltung).

 

Das Thema wird seitdem viel diskutiert und ist auch oft in der Presse vertreten. Der letzte Rahmen für eine Diskussion dazu war das benannte Dorffest von Neuhaus am 22.08.2021.

Im Folgenden Abschnitt geht es um Hintergrundinformationen und eine fachliche Einordnung.

Sind diese Flächen wirklich notwendig?

Derzeit befinden sich alle Kommunen in einem beispiellosen Wettstreit um die Ausweisung neuer und möglichst großer Gewerbeflächen. Das wird dazu führen, dass es nach der Genehmigung und Erschließung dieser Flächen zu einem heißen Wettbewerb um die Firmen geben wird. Um die investierten Kosten zu minimieren und die Flächen zu bebauen, könnte es dann auch zu einem Absenken der Hürden bei der Flächenvergabe kommen, so dass die heute noch abgelehnten Anfragen zukünftig einen Zuschlag bekommen könnten.

Die dort entstehenden Betriebe haben im besten Fall eine enge Verzahnung zu den eventuell im Gewerbegebiet Erkelenz-Ost entstehenden Innovationsstandorten. Aber genau mit dieser Argumentation wirbt auch die WFG (Wirtschaftsförderungsgesellschaft) im Kreis Heinsberg für die Erschließung des riesigen Gewerbegebietes Lindern. Es wird also schon in der Planungsphase eine Konkurrenzsituation beschrieben, an dessen Ende wir nicht voraussehen können, dass gerade unser neues Gewerbegebiet den Zuschlag erhält.

Jung und alt sind sich einig

 

Es ist das Ziel der Stadt Erkelenz, als zukünftiger Hochschulstandort innovative Betriebe anzusiedeln. Diese Betriebe sind vielfach gar nicht auf ausführende Betriebe in der Nähe angewiesen. Diese Betriebe benötigen ein gutes Internet und lassen ihre Produkte dort produzieren, wo sie die besten Partner finden.

Schließlich wollen wir gerade ein Forschungsstandort für Landwirtschaft und Ernährung werden. Gerade bei dieser Forschung werden landwirtschaftliche Flächen benötigt. Daher sollte sich die Stadt Erkelenz sehr gut überlegen, ob sie die besonders guten landwirtschaftlichen Flächen in AS Erkelenz-Ost als Gewerbeflächen verbaut, statt sie als landwirtschaftliche Forschungsflächen vorzuhalten.

Vor allem brauchen diese Flächen nicht alternativlos zu sein. Die Flächenauswahl für diese Gewerbeflächen wurde vor Jahren getroffen, zu einer Zeit als noch nicht klar wurde, dass der Tagebau Garzweiler II viel schneller beendet wird. Daher wird der Tagebau auch deutlich weniger Fläche verbrauchen, als ursprünglich geplant.

Für die Zeit nach dem Tagebau ist seit langem ein interkommunales Gewerbegebiet angedacht. Der Zweckverband Landfolge Garzweiler II, dem auch die Stadt Erkelenz angehört, bemüht sich zur Zeit erfolgversprechend, diesen Bereich mit direkter Anbindung an das Autobahnkreuz Jackerath bestmöglich zu erschließen. Der Fokus liegt dabei vor allem auf innovativen Verkehrsanbindungen, die vor allem gerade für Wissenschaft und Forschung interessant sein werden.

Grüne, Linke und Bürgerpartei stehen hier auf der Seite der bereits besonders belasteten Einwohner der Ortschaft Neuhaus. Sie wollen aber auch diese exzellenten Ackerböden erhalten und die Bürger der Ortschaften Terheeg, Wockerath, Kaulhausen, Venrath und Etgenbusch vor einem Leben zwischen Autobahn, Eisenbahn, Tagebau und Gewerbegebiet bewahren.

Klare Aussagen gegen das geplante Gewerbeflächenkonzept

 

Der Dialog in Neuhaus: Sorgen und Ängste

In der Diskussion mit den Besuchern des Bürgerfestes in Neuhaus wurden diese Punkte erläutert und trafen auf breite Zustimmung.

Vertreter von SPD und CDU waren ebenfalls auf dem Bürgerfest vertreten, da alle im Stadtrat vertretenen politischen Vertreter*innen eingeladen wurden, Gast zu sein. Redebeiträge dieser Parteien waren nicht vorgesehen, da diese ihre Statements bereits im interfraktionellen Zoom Meeting ausgeführt hatten und nach eigenen Angaben (nach Rückfrage per Mail) keine weitere Veranstaltung mit den Bürgern vorgesehen war. Dennoch meldeten sich beide Parteien zu Wort und gaben erneut Statements.

 

 

SPD und CDU haben das selbe getan wie schon im interfraktionellen Zoom Call: Bedenken der Bürgerinnen kleingeredet und den Wunsch nach Mitsprache ignoriert.

Marius Müller, Initiative NeuNeuhaus

 

In den Gesprächen mit den Bürger*innen aus Neuhaus und den umliegenden Dörfern wurden uns Sorgen und Ängste mitgeteilt. Bereits in der Vergangenheit wurde demnach Neuhaus häufig von der Politik übergangen oder Versprechen teilweise nicht gehalten – vor allem darin liegt die Ursache der aktuellen Skepsis der Bürger*innen. Das Zoom Meeting mit CDU, SPD, FDP und Freie Wähler/UWG sowie der Auftritt von SPD und CDU auf dem Dorffest bestätigten diese Vorbehalte der Neuhauser*innen.

 

In all den Jahren in denen ich hier lebe, wurden wir immer klein gehalten und außen vor gelassen. Das hat mein Vertrauen in viele Parteien stark geschädigt. Ich vertraue hier den Grünen, die mit uns auf Augenhöhe reden und sich für uns einsetzen.

Rosemarie Müllers, Bürgerin aus Neuhaus

 

Jetzt zu sagen, man nähme die Wünsche und Anregungen der Bürger*innen ernst, obwohl das Konzept zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgewunken werden sollte (siehe oben), trifft auf großes Misstrauen. Ebenfalls ist für die meisten Betroffenen unverständlich, warum nicht jetzt schon ihre Anregungen einfließen und die Weichen für die Zukunft entsprechend gestellt werden und man stattdessen auf „weitere Schritte der Beteiligung“ in der Zukunft vertröstet wird.

 

 

Plötzlich soll kein Industriegebiet mehr neben der Flüchtlingsunterkunft gebaut werden, sondern eine Hochschule? Das ist unglaubwürdig!

Manuela Lauer, Bürgerin aus Neuhaus

 

Katharina Gläsmann und Julian Joussen (SPD) haben erneut versucht zu relativieren. Herr Joussen hat zudem die rechtliche Lage erklärt und betont, dass das ein sehr komplexes Thema und nur schwer zu verstehen sei. Dass er zum Abschluss seiner Rede aber den Grünen vorwirft, sie hätten sich ihre Fakten daher so zurechtgelegt, wie es für die eigene Argumentation dienlich ist, war nicht nur respektlos, sondern auch unpassend provokant für den Rahmen dieses schönen Dorffestes. Die Reaktionen der Bürger waren deutlich.

Dennis Galle

 

Die Bürger*innen erwarten transparente Politik und wünschen sich eine Einbeziehung in die Planungen. Kein Relativieren, kein Beschwichtigen, keine unkonkreten Aussagen und kein Vertrösten auf „Irgendwann in der Zukunft“.

Wir werden sie weiterhin dabei unterstützen und hier sowie auf Facebook / Instagram weiter darüber berichten.

 

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